"Ist das deutsche Mobilfunknetz schlecht ausgebaut und teuer?"
Prof. Krämer hat zusammen mit anderen Experten der Telekommunikationsbranche dem Magazin Business Insider ein Interview zu diesem Thema gegeben. Den Artikel finden Sie unter:
https://www.businessinsider.de/warum-das-deutsche-mobilfunknetz-so-miserabel-und-teuer-ist-2019-3
Sein vollständiges Interview zu diesem kontroversen Thema finden Sie nachfolgend:
"Es ist in der Tat richtig, dass andere Ländern uns im Mobilfunk etwas voraus haben. Die Gründe dafür sind allerdings vielschichtig.
Preise bilden sich, auch im Mobilfunk, durch Angebot und Nachfrage sowie die unterliegende Kostenstruktur.
1) Zur Kostenstruktur: In Deutschland war die Vergabe der UMTS Lizenzen (3G) sehr teuer für die Mobilfunkanbieter. Zudem war der Aufbau des 4G Netzes mit Versorgungsauflagen in der Fläche verbunden. Beides hat nachhaltige Auswirkung auf die Kostenstruktur gehabt. Geographische Besonderheiten und eine hohe Bevölkerungsdichte sind auch zu berücksichtigen. Das ist aber sicher nicht das entscheidende Kriterium in Deutschland. Hausgemacht ist aber auch der bürokratische Aufwand, neue Sendemasten überhaupt in Betrieb nehmen zu dürfen und einen geeigneten Standort zu finden. In Deutschland möchte niemand so einen Mast in seiner Nachbarschaft haben und es gibt Volksbegehren dagegen. Im Durchschnitt dauert es daher ca. 2 Jahre eine geplante neue Antenne zu errichten.
2) Zur Nachfrageseite: Auch da hinken wir in Deutschland hinterher. Wir sind nicht so technikaffin wie andere Länder. Zum Beispiel im Bereich eGovernment, also der digitalen Verwaltung, aber auch im Bereich der digitalen Bildung hinken wir den Finnen um Jahre hinterher. Dementsprechend weniger Bedarf sehen wir für breitbandige Mobilfunkverbindungen. Ergo weniger Investitionen und höhere Preise.
3) Zur Angebotseite: In Deutschland haben wir traditionell eine gute Festnetzinfrastruktur. Wo es in anderen Ländern mit schlechterer Festnetzinfrastruktur zur sogenannten Fixed-Mobile-Substitution gekommen ist, also dem Ersatz des Festnetzes durch das Mobilfunknetz, so werden in Deutschland beide Netze eher als komplementär und nicht als substitutiv gesehen. Das bedeutet eine geringere Auslastung des Mobilfunknetzes und damit auch weniger Investitionen respektive höhere Preise.
Letztlich wird aber auch der Wettbewerb im Mobilfunk nicht so scharf geführt, wie in anderen Ländern. Das muss man aber differenziert sehen. Erst vor wenigen Jahren wurde durch die Fusion von O2/Telefonica und E-Plus ein vierter Wettbewerber eliminiert. Wir haben in Deutschland, wie in vielen anderen Europäischen Ländern auch, derzeit drei unabhängige Mobilfunknetze. Das allein kann also nicht der Grund sein. Mit vier Wettbewerbern waren die Preise und Investitionen in Deutschland aber relativ gesehen auch nicht besser, was ja gerade ausschlaggebendes Kriterium war, die Fusion zu erlauben. Man hat sich erhofft, mit Telefonica/O2 einen stärkeren dritten Spieler zu schaffen. Meines Erachtens löst ein vierter Anbieter die Problematik daher nicht. Zudem stehen hoher Wettbewerb und Investitionen auch im Konflikt miteinander. Je weniger es zu verdienen gibt, desto weniger rechnet sich eine hohe Investition in Netze, gerade auf dem Land. Anderseits ist ein gesundes Maß an Wettbewerb grundsätzlich schon Motor für niedrige Preise und Investitionen.
Letztlich denke ich, dass man am ehesten auf der Nachfrageseite ansetzen könnte (z.B. im Bereich eGovernment, Internet of Things), um den Wettbewerb und Ausbau in Mobilfunknetzen zu stimulieren. Außerdem ist es wichtig, ein stabiles und vorhersagbares regulatorisches Klima zu schaffen. Das Thema Netzneutralität beschäftigt die Telekommunikationsanbieter nach wie vor sehr und hemmt ggf. Investitionen, denn es ist fraglich in wie weit geplante Anwendungen und Geschäftsmodelle im Bereich Internet of Things und Industrie 4.0 sowie die Möglichkeiten des 5G Netzes (sogenanntes Network-Slicing) unter dem geltenden Netzneutralitätsgesetzesrahmen überhaupt zulässig wären."